Pauschale Vorwürfe in der Pflege ungerechtfertigt (August 2013)

Skandalisierende Berichterstattungen in den Medien sind an der Tagesordnung. Pflegeeinrichtungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Angehörige sind einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, weil wenige Einzelfälle auf eine gesamte Branche übertragen werden.

Die leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., Angelika Weigt-Blätgen, wendet sich in einem Offenen Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der drei Alten- und Pflegeheime der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., um ihnen zu sagen, wie sehr ihre Arbeit geschätzt wird und wie ungerechtfertigt und verletzend die Verdächtigungen sind. Die Pflege im Soester Hanse-Zentrum, im Soester Lina-Oberbäumer-Haus und im Warburger Haus Phöbe habe es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt zu werden.

Offener Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Alten- und Pflegeheimen der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
seit Wochen lesen und hören Sie fast täglich über die angeblich unhaltbaren Zustände in den Altenheimen in Deutschland. Die Vorwürfe und Verdächtigungen reichen von mangelnder Versorgung mit Flüssigkeit bis hin zu gehäuften Fällen von Dekubitus, unbegründetem Freiheitsentzug und Veruntreuung von Entgelten.
Sie, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen - neben allen Herausforderungen Ihrer schwierigen Arbeit - diesen Vorwürfen in Ihrem Pflegealltag begegnen.

Sie erleben Alte und Hochbetagte, die voller Angst und Misstrauen in unsere Häuser kommen. Für viele von Ihnen gibt es auf Grund ihrer weit fortgeschrittenen dementiellen Erkrankung oder ihrer körperlichen Beeinträchtigungen bis hin zu palliativer Pflegebedürftigkeit keine Alternative mehr. Sie sind in einer ohnehin schwierigen und verunsichernden Situation.

Sie alle versuchen, den Frauen und Männern, die zu uns kommen, diesen Schritt so leicht wie möglich zu machen. Sie schaffen mit möglichst viel eigenem Mobiliar eine vertraute Umgebung.
Sie sammeln Informationen zur Biografie der Bewohnerinnen und Bewohner, um ihre Ernährungsgewohnheiten, ihre besonderen Vorlieben, ihre Ängste und Verletzungen kennen zu lernen. Sie richten Ihre Pflegeangebote und die begleitenden sozialen Angebote an den individuellen Bedürfnissen aus. Ich weiß, dass in unseren Häusern keine um 6.00 Uhr in der Frühe mit grellem Licht und unfreundlichem Morgengruß geweckt wird. Sie nehmen auch die Schlafgewohnheiten der Ihnen anvertrauten Menschen ernst. Die einen frühstücken später, die anderen brauchen ihren ersten Kaffee schon von der Nachtwache. Alle können selbstverständlich wählen, ob sie in der Runde der Wohngemeinschaftsgruppe essen möchten oder lieber im eigenen Zimmer.

Sie erleben auch die Angehörigen, die oftmals ein schlechtes Gewissen haben, weil sie die Pflege ihrer Lieben nicht oder nicht mehr selbst leisten können und die häuslichen Bedingungen nicht geeignet sind, intensive Pflege und Begleitung zu gewährleisten. Die negative Berichterstattung verunsichert sie zusätzlich.
Ich weiß, dass Sie intensive Gespräche mit Angehörigen führen und versuchen, sie in die Biografiearbeit und die Pflegeplanung einzubeziehen.

Aber manche machen es Ihnen wirklich schwer. Wenn Angehörige wie Polizisten durchs Haus schleichen, um Ihnen Fehler nachzuweisen. Wenn eine Tochter an einem der heißen Tage dieses Sommers mit den Worten kommt: „Man liest ja täglich, dass Menschen in Altenheimen verdursten. Da wollte ich doch einmal mehr nach meinem Vater sehen“ - ist das schwer zu verkraften.

Ich habe gesehen, dass Sie überall auf den Fluren, in den Aufenthaltsräumen und Wohngemeinschaftsräumen „Trinkstationen“ aufgebaut haben, mit einem einladenden und vielfältigen Getränkeangebot und dass Sie die Menschen, die intensiv gepflegt werden, sorgfältig und gut versorgen.
Ihre Arbeit ist körperlich und psychisch herausfordernd. Sie müssen immer wieder Sterbende begleiten – gemeinsam mit Angehörigen und oftmals mit Unterstützung des Hospizdienstes. Sie müssen immer wieder Abschied nehmen von Menschen, die Ihnen ans Herz gewachsen sind.
„Wir geben keine gerne aus der Hand“ - das haben Sie, liebe Schwester L., mal gesagt. Das hat mich sehr berührt.

Ich wünsche mir so sehr, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass Sie immer wieder auch Zeichen der Dankbarkeit, der Anerkennung und Wertschätzung erfahren.
Unser Vorstand und ich als Leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe wissen, was wir an Ihnen haben und wie sehr wir auf Jede und Jeden von Ihnen angewiesen sind, um das umzusetzen, was wir unter guter, menschengerechter, würdevoller und verantwortlicher Pflege verstehen.

Lassen Sie sich von der öffentlichen Diskussion nicht entmutigen und nicht verunsichern. Ebenso wie die Heim- und Pflegedienstleiterinnen bin ich auch persönlich jederzeit bereit, Gespräche zu führen, wenn Sie es wünschen. Machen Sie getrost Ihre schwere und schöne Arbeit. Ich weiß genau:
Wir haben in unseren Häusern tolle Teams aus qualifizierten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Ihre
Angelika Weigt-Blätgen, Leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

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